Samstag, 15. Mai 2021
Gedanken zu den Sonntagstexten
7. Sonntag nach Ostern
Lesung aus dem ersten Johannesbrief (Joh 4, 11-16)
Schwestern und Brüder,
wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.
Niemand hat Gott je geschaut;
wenn wir einander lieben, bleibt Gott bin uns,
und seine Liebe ist in uns vollendet.
Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns bleibt:
Er hat uns von seinem Geist gegeben.
Wir haben gesehen und bezeugen,
dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt.
Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist,
in dem bleibt Gott und er bleibt in Gott.
Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt
und gläubig angenommen.
Gott ist die Liebe,
und wer in ihm bleibt,
bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.
Gedanken zum Lesungstext
Heute dreht sich alles um die Liebe. Vielleicht möchten Sie einmal nachzählen. Insgesamt sieben Mal kommt das Wort „Liebe“ oder „lieben“ in der heutigen Lesung vor. Ein ziemlich inflationärer Umgang mit diesem schönen Wort – so scheint es.
Diesen Wertverlust des Begriffs „Liebe“ machen wir übrigens auch in unserer Gesellschaft aus. Was wird da nicht ständig über Liebe gesprochen. Im Fernsehen oder in unseren Boulevardblättern wird das Thema „Liebe“ nahezu jeden Tag in allen denkbaren Variationen abgehandelt.
Dazu kommt, dass wir auch immer häufiger in unserem privaten Umfeld damit konfrontiert werden, dass Liebe auch eine sehr verletzliche und brüchige Größe ist. Wie viele Enttäuschungen gibt es da? Wie viele Beziehungen zerbrechen? Wie viele Menschen werden zutiefst verletzt, weil ihre Liebe missbraucht oder ausgenutzt wurde? Wie viele Menschen können gerade deshalb nicht mehr an wirkliche, echte und treue Liebe glauben? Können wir vor diesem Hintergrund überhaupt noch etwas anfangen mit einem Satz wie „Gott ist die Liebe“?
Ja, es stimmt: Liebe ist zu einem Allerweltsthema geworden. Und vielleicht ist es deshalb so schwer, einen vernünftigen Zugang zu einer Schriftlesung zu finden, die so inflationär und überschwänglich über die Liebe spricht. Vielleicht kann es da helfen, wenn wir uns erst einmal klarmachen, dass es vor 2000 Jahren etwas völlig Neues und Unerhörtes war, wenn Jesus im Blick auf Gott so leidenschaftlich von „Liebe“ spricht. Für die Menschen, die das damals hörten, war das entweder eine ärgerliche Zumutung oder eine Revolution in ihrem Gottesbild.
Für die Frommen seiner Zeit grenzte es an Gotteslästerung und war erst recht ein Grund, ihn aus dem Weg zu schaffen. Denn Gott ist für die damalige Zeit niemand, den man lieben kann. Er verdient vielmehr höchste Ehrfurcht. Niemand darf ihm zu nahekommen. Das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem war ein völlig abgeschlossener und isolierter Raum im Tempelinneren, in dem nach jüdischer Überzeugung Gott selbst Wohnung genommen hat. Dieses Allerheiligste durfte nur der Hohepriester betreten, und der auch nur einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag. Das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen war in den Augen der Gottesfürchtigen damals das Verhältnis zwischen einem großen Herrscher und seinen Dienern. Den Herrscher musste man durch Gehorsam und Opfer gnädig stimmen.
Vor allem, in dem die Menschen die Gebote des mosaischen Gesetzes halten, versuchten sie, ihrem Gott zu gefallen. Und durch die Opfer, die man im Tempel darbrachte, konnte man sich gewissermaßen die Gunst Gottes erkaufen.
Und jetzt kommt dieser Jesus und bringt eine ganz neue, eine faszinierende Botschaft: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt!“ (Joh 15,15). Jesus zeigt uns hier einen Gott, der nicht länger der ferne Herrscher ist, der Tyrann, den ich durch Ehrfurcht und Gehorsam gnädig stimmen muss, sondern der uns liebt wie ein Vater seine Kinder liebt. Das war damals alles andere als eine abgegriffene Botschaft, sondern etwas revolutionär Neues: Gott liebt uns! Und das heißt: Er ist um uns besorgt. Er will unser Bestes. Er will, dass wir glücklich sind und unser Leben gelingt. Und jetzt erst wird verständlich, warum Gott in Jesus Menschen geworden ist, warum er Leiden und Tod auf sich genommen hat. Die Liebe ist das Schlüsselwort der ganzen Frohen Botschaft: Weil Gott uns so sehr liebt, deshalb hat er seinen Sohn in diese Welt gesandt, deshalb hat er all das auf sich genommen.
Natürlich hat das auch Konsequenzen. Spätestens jetzt wird deutlich, dass dieses große Wort „Gott ist die Liebe“ alles andere als eine Schnulze und romantisches Liebesgesülze ist. In der Lesung wird es klar auf den Punkt gebracht: „Wenn Gott uns so geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben!“ Und zwar unterschiedslos, ohne Ausnahme. Das heißt: An der Art und Weise, wie wir als Christen miteinander und mit anderen umgehen, zeigt sich, ob wir wirklich Christen sind oder nur fromme Sprechblasen produzieren.
An dieser Stelle wird deutlich, dass es sehr viel schwerer und anspruchsvoller ist, ein Freund zu sein als ein Knecht. Als Diener, als Knecht habe ich klare Pflichten und ebenso klare Rechte. Es gibt einen Arbeitsvertrag, und wenn ich den erfülle, dann habe ich Anspruch auf entsprechende Belohnung.
Für das Verhältnis der Menschen zu Gott würde das heißen: Wenn ich die Gesetze und Gebote Gottes halte, wenn ich als einigermaßen anständiger Menschen durchs Leben gehe, dass habe ich auch Anspruch darauf, dass Gott mich belohnt, dass mich glücklich werden lässt, dass er mir Gesundheit schenkt, dass ich am Ende in den Himmel komme. Oder für uns gesagt: Wenn ich nur jeden Sonntag brav in die Kirche gehe und bete, dann habe ich einen Rechtsanspruch auf ein einigermaßen gutes Leben und auf einen Platz im Himmel.
Aber der Johannesbrief sagt uns: So funktioniert das nicht. Gott ist die Liebe. Und er will, dass wir seine Liebe in der Welt sichtbar und erfahrbar machen. In der Art und Weise, wie wir mit den Menschen umgehen, soll sichtbar werden, wie sehr Gott die Menschen liebt. Das ist ein unerhörter Anspruch. Aber Gott traut uns das zu. Und als Helfer bei dieser Aufgabe schenkt er uns seinen Geist, seine Kraft und Begeisterung für ihn.
Gott hat uns zuerst geliebt, sagt der Johannesbrief. Er hat uns seine Liebe umsonst und ohne Bedingungen gegeben. Er hat uns zu seinen Partnern, ja mehr noch, zu seinen Freunden gemacht. Jetzt kommt alles darauf an, dass wir nicht länger in der bequemen und anspruchslosen Rolle des Knechtes bleiben, sondern dass wir die bedingungslose Liebe Gottes beantworten, in dem wir sie ebenso bedingungslos weitergeben.
Nicht, was wir als Christen sagen, überzeugt, sondern was wir leben.




